Übungsgefechtsschießen in Luninez | September 1989

Vom 09.09.1989 bis zum 16.09.1989 wurde vom Kommando der Front- und Militärfliegerkräfte ein Gefechtsschießen im Ausbildungszentrum der Luftstreitkräfte der UdSSR in “Luninez”  durchgeführt.  An dieser Übung haben Kräfte des JBG-37, JBG-77 und des  MFG-28 teilgenommen.

Die Verlegung der handelnden Kräfte auf den Flugplatz “Luninez” erfolgte ausschließlich per Lufttransport.
Ziel der Übung war das Training der Suche und Bekämpfung von Erdzielen über unbekanntem Gelände mit gelenkten Luft-Boden-Raketen,
Bomben und Bordkanonen. Der Einsatz der gelenkten Raketen wurde auf dem Schießplatz “KOLKI” geübt.

Luninez

Luninez

Verlegung nach Luninez

Vorstartline in Luninez

Insgesamt wurde während der Übung von den teilnehmenden Kräften eingesetzt:
              14      gelenkte Luft-Boden-Raketen
              28      Brandbomben
              16      Leuchtbomben
                6      Sprengbomben
             540     30 mm NR Splitter-Spreng-Granaten
             300     23 mm AM Splitter-Spreng-Granaten


Ein Teilnehmer des Übungsgefechtsschießen in Luninez war Major Wolfgang “KUNO” Kuhnert. Im folgenden beschreibt Wolfgang Kuhnert seine Erlebnisse in Luninez.


Wolfgang Kuhnert
Einsatz in Weißrussland

Der 11. September 1989 wird immer als ein besonderes Datum in meiner Erinnerung bleiben.
An genau diesem Tag startete ich in eines der größten fliegerischen Abenteuer meines Lebens, dem Flug nach Luninez in Weißrussland zum scharfen Waffeneinsatz unter realistisch gestalteten Gefechtsbedingungen.

Diesem fliegerischen Höhepunkt  waren harte Ausbildungsjahre mit dem Training des Einsatzes der möglichen Bewaffnungsvarianten der MiG-23BN unter allen Wetterbedingungen vorausgegangen. Wir hatten gelernt, unser Flugzeug als Waffe einzusetzen. Die mir übertragene Aufgabe bestand darin, die gelenkte Luft-Boden-Rakete vom Typ Cha-23 am Tage und in der Nacht vom Flugzeug aus zu starten und möglichst mit Null Meter Abweichung im Ziel zu platzieren. Denn genau zwei Raketenabschüsse fehlten mir noch in meiner fliegerischen Ausbildung zur Erringung der Qualifikation "Meisterflieger". Außerdem war das praktische Training taktischer Angriffsvarianten beim Einsatz der Bomben-, Raketen- und Kanonenbewaffnung unter „kriegsnahen Gefechtsbedingungen" im Kettenverband das Ziel unseres Einsatzes in Luninez.

Bevor es aber so weit war, den Drosselhebel nach vorn zu schieben, die Sperrklinke zu ziehen und den Ruck des zuschaltenden Nachbrenners zu spüren, verging noch etwas Vorbereitungszeit. So wurden wir teilnehmenden Flugzeugführer des JBG-37 einige Tage zuvor mit einer Tu-134 nach Luninez geflogen, um die Lage vor Ort kennen zulernen. Mich traf fast der Schlag. Obwohl ich aus meiner Dienstzeit in Rothenburg und aus verschiedenen Besuchen der russischen Streitkräfte in Brandt, Falkenberg, Lärz usw. deren „Verhältnisse" meinte zu kennen, war ich doch mehr als erstaunt darüber, mit welch einfachen Mitteln teilweise komplexe und komplizierte Vorgänge gelöst werden konnten.

Die Start- und Landebahn (SLB) war 2500 Meter lang und 44 Meter breit. Eigentlich kein Problem. Sollte man meinen können, wenn man deren Beschaffenheit und baulichen Zustand nicht in die Überlegungen einbezieht. Die SLB bestand aus Betonplatten, wie sie für meinen Eindruck eher bei behelfsmäßigen Baustraßen Verwendung finden; mit einem Höhenunterschied von geschätzten 15 cm zwischen manchen Platten. Bei meiner ersten Landung hat es so geknallt, dass ich dachte, mir hat es das Fahrwerk abgerissen oder zumindest erheblich beschädigt. Für die Besatzungen vor Ort offensichtlich kein Grund zur Beunruhigung und damit auch kein Grund, irgendetwas daran zu ändern.
 

Luninez-89_Brunnen


Oder ein anderes Beispiel. Mitten im Wald, zwischen Unterkunftsgebäude und Vorstartlinie, stand ein Brunnen. Der sah aus wie in einem Märchen für Kinder: mit einem kleinen Dach, Kurbel, Spindel, Seil und Eimer. Damit wurde ohne Strom, nur mit Muskelkraft, das Trinkwasser für die Küche gewonnen. Das Ding funktionierte immer. Zumindest so lange es warm war. Wie es allerdings im Winter bei Minusgraden sei, hatte ich mich zum damaligen Zeitpunkt aus Höflichkeit nicht gewagt zu fragen.

Ganz das Gegenteil dazu waren die technischen Ausrüstungen für die Durchführung eines Flugbetriebes. Der Platz war mit allen zur damaligen Zeit üblichen technischen Ausrüstungen für militärische Flugplätze ausgestattet, die den Flugbetrieb unter allen Wetterbedingungen bis zum Wetterminimum am Tage und in der Nacht erlaubten.

Da gab es beidseitig ein Nahbereichsnavigationsystem RSBN (Kanal 38) und eine Landegruppe PRMG (Kanal 40), das übliche Funkfeuer mit nachts weithin sichtbarem und nach dem Morsealphabet codiertem Lichtzeichem sowie den ebenso üblichen Peilfunksender. Der Flugleiter auf Kanal 7 hatte den Rufnamen "Reskij".

Nachdem wir die örtlichen Gegebenheiten einschließlich dem Flugvorbereitungsraum, der Unterkunft und Küche sowie die Toiletten besichtigt hatten, war es schon wieder Zeit für den Rückflug. In zehntausend Meter Höhe, Kurs 270 Grad, gingen der "Ingenieur" eine Reihe vor mir und ich und wahrscheinlich alle anderen auch in Gedanken das an diesem Tag Erlebte noch einmal durch. Überraschend kam zwischen den Sitzreihen eine Flasche „Wilthener“ an mir vorbei und nötigte mich dazu, ebenfalls einen ordentlichen Schluck zu nehmen. Da saß ich nun, sah aus dem Fenster der untergehenden Sonne nach, trank „Wilthener“ und rauchte das erste Mal in einem Flugzeug - erlaubterweise - eine Zigarette.
 

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

 

 


Dann war es endlich soweit. Im Morgengrauen des 11. September 1989 saßen wir alle im Flugvorbereitungsraum zum "Geben der letzten Weisungen". Wie sich herausstellte, war das Wetter mehr als „bescheiden“: 7/8 Stratocumulus mit einer Untergrenze von 350 Metern, Sicht etwa 6 Kilometer und die Obergrenze der Bewölkung im Mittel bei 7000 Metern. Nachdem uns der Meteorologe die Wetterlage auf der geplanten Flugstrecke und im Zielgebiet erläutert hatte, war uns klar, dass es ein anspruchsvoller Flug werden würde.

Unsere Maschinen waren einsatzbereit, alle Waffenstationen bestückt und bis zum Rand mit T1 vollgetankt, inklusive des Rumpf- und der Tragflächenzusatzbehälter. Alles, was wir selbst per "Lufttransport" mitnehmen konnten, nahmen wir mit an Bord. Schließlich musste das dann nicht extra in die bereitstehenden Transportmaschinen eingeladen werden. Nach dem Kabinentraining und der Übergabemeldung durch den Techniker machte jeder noch einmal seinen üblichen Rundgang um das Flugzeug. Dazu gehörte auch ein letztes „Blase entleeren“ am Strahlabweiser, das so genannte "Angstwässerchen".

Unser Verband bestand aus 4 MiG-23BN. Nacheinander wurden deren Triebwerke angelassen und der Probelauf durchgeführt. 
Beim Herausrollen vom Standplatz bekamen sie zum Abschied nochmal einen liebevollen Klaps von ihrem Techniker in der Hoffnung, der Flugzeugführer bringt ihr „Pflegekind“ ganz, oder wenigstens den größten Teil davon, wieder nach Hause. Nachdem wir uns auf der SLB im Kettenverband paarweise aufgestellt hatten, waren der Start und das anschließende Sammeln des Verbandes mit dem „Fächer“- Manöver reine Routine.

Ohne Probleme sammelten wir uns nach dem Durchstoßen der Wolken im Anflug auf Frankfurt/Oder. Die Flugstrecke hatte nur wenige Wendepunkte: genau zwei. Einer war Frankfurt/Oder und der andere Brest. Nach Erreichen der Streckenflughöhe von 8350 Metern bestand das größte navigatorische Problem darin, in der engen Kabine mit der riesigen, aus mehreren 500.000er Kartenblättern zusammengeklebten, Flugkarte klarzukommen. Wir hatten deshalb eine lockere Gefechtsordnung mit einem Abstand von etwa 150 Metern und Tiefenstufung eingenommen, um selbständig und stressfrei fliegen zu können. Das Flugzeug war ausgetrimmt und der Autopilot machte seinem Namen alle Ehre. Dieser machte nämlich das, was er sollte: die vorgegebene Fluglage stabilisieren. Über Polen war der Flugweg unter uns, wie mit dem Lineal, in zwei Teile getrennt. Links, also nach Norden, blauer Himmel und gute Erdsicht und rechts -  nur Wolken.

Nachdem wir unserem Jägerleitoffizier in Drewitz noch einen schönen Tag gewünscht und uns abgemeldet hatten, versuchten wir mit den polnischen Leitstellen ins Gespräch zu kommen. Das stellte sich aber unvermutet als sehr problematisch heraus.
Von Deutschen gesprochenes Russisch und das der Polen sind eben doch zwei verschiedene Sprachen.
Aber wir hatten ja "Otto" im Verband, der mehrere Jahre in der Sowjetunion studiert hatte und dort zum Militärpiloten ausgebildet worden war. „Otto“ konnte unser Kommunikationsproblem lösen und somit hatten wir auch noch einen ruhigen Funk. Man könnte es auch wie folgt beschreiben: „Otto“ hatte im feinsten Russisch unsere Absicht erklärt und danach flogen wir ungestört genau dem Strich auf der Karte nach. Sozusagen linkes Rad - rechte Schiene. Die Welt war in Ordnung: ein angenehmes dumpfes Summen des Triebwerkes und gute Sicht bis an die polnische Ostseeküste. Urplötzlich war es mit der Ruhe vorbei.

Die Mitstreiter vom JBG-77 aus Laage, angeführt von „GeZi“, machten sich mit ihren Su-22 M4 ebenfalls auf "unserem" Kanal breit. Und führten erst einmal eine „Flugvorbereitung in der Luft“ durch. Offensichtlich hatte irgendein Manöver oder etwas anderes nicht geklappt
und damit diese Unruhe verursacht. Wir waren jedenfalls sehr froh, als uns im Anflug auf Brest eine bekannte Stimme in klar deutsch geprägtem Russisch ansprach und uns aufforderte, die Frequenz zu wechseln.

Der Anflug von Luninez war weniger dramatisch als erwartet. Wir lösten unseren Verband, wie hunderte Male geübt, über den Wolken auf und flogen das Funkfeuer "SA" auf 345 kHz an. Anschließend hängten wir ein halbes System dran, um die Wolken schließlich mit dem PRMG und auf dem Landepfad mit Kurs 290 Grad zu durchstoßen. Die Wetterbedingungen waren hier noch schlechter als in Drewitz: Wind aus 350 Grad mit Spitzen bis 13 Meter pro Sekunde, Sicht weniger als 4 Kilometer, lokale Cumuli und die Wolkenuntergrenze tiefer als 350 Meter.

Zu allem Überfuß leuchtete jetzt auch noch die „600 Liter Treibstoff-Rest“-Anzeige und damit verbunden die große rote SORZ-Warnlampe auf. Ruhig bleiben war angesagt, denn wir sollten ja nicht aus dem ersten Anflug heraus landen, sondern den Platz überfliegen und die Landung mit dem Landeverfahren „2 x 180 Grad“ durchführen. Eigentlich wird dieses Anflugverfahren nach Vorschrift in 600 Metern Höhe geflogen. In Gesprächen nach der Landung stellte sich aber heraus, dass keiner von uns wieder freiwillig in die Wolken eingeflogen sondern sinnvollerweise unterhalb der Wolken geblieben ist.

Aus der Flugvorbereitung wussten wir, dass es keine größeren Hindernisse gab, die uns dabei hätten gefährlich werden können.
Wir wussten allerdings auch, dass wir mit dem verbliebenen Kraftstoffrest keinen Ausweichflugplatz mehr erreichen konnten. Es hätte auch keinen Sinn gemacht, denn dort war das Wetter ja auch nicht besser. Als das Fahrwerk dann endlich russischen Boden berührte, kam es zu dem schon eingangs beschriebenen Ereignis: Dumpfer Knall - Alles kaputt?? Glücklicherweise war dem aber nicht so. Nachdem wir unsere Flugzeuge in die Hände der Techniker übergeben und die notwendigen Borddokumente ausgefüllt hatten, sammelten wir jede Menge neuer Eindrücke in einer uns fremden Umgebung. Der nächste Tag war mit Flugvorbereitung, Besprechungen und der Besichtigung des Zielgebietes ausgefüllt.
 

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989

Luninez 1989


Doch am Tag 2 in Luninez ging es dann richtig los. Wir hatten uns lange und gut vorbereitet und waren auch einigermaßen ausgeschlafen. Jetzt wollten wir uns in der Praxis beweisen. Ein Flug in den Zielraum (das Schießgelände hatte die Ausmaße von etwa  40 x 50 Kilometer) war nur mit angelegtem Schwimmgürtel möglich, denn es befand sich mitten in einem Moorgebiet. Dieser Schwimmgürtel sollte mich im Fall einer Katapultierung an der Oberfläche und somit am Leben halten. Ob das Ding auch im Moor funktioniert hätte, konnte oder wollte mir keiner sagen. Für die innere Ruhe war es auch besser, lieber nicht darüber nachzudenken. Und auch schon deshalb nicht, weil ich in extrem geringen Höhen über Feuchtgebieten flog, die neben mir auch von zahlreichen "Orniten" jeder Größe und ausgerechnet auch in meiner Flughöhe frequentiert wurden.

Ich führte an diesem Tag zwei Flüge mit Einsatz der Cha-23 unter Tagbedingungen durch. Der erste hatte als Trainingsflug noch den imitierten Einsatz dieser Rakete zum Inhalt. Nach der Landung wurde das Flugzeug dann auf den scharfen Einsatz vorbereitet. Dafür wurden alle Systeme und bordseitigen Einstellungen in der Wiederholungsstartvorbereitung nochmals genauestens überprüft und erst anschließend freigegeben.

In der Zwischenzeit wurde ich zu "GeZi" befohlen. Er erklärte mir in seiner unvergleichlich unpersönlichen Art, dass im Falle einer Bewertung des kommenden Einsatzes ohne die Note "Sehr gut" für mich der weitere Einsatz beendet sei und die für meinen Nachteinsatz vorgesehene Rakete durch "Gerd E" verschossen werden würde. Damit wäre auch mein persönliches Ziel nicht mehr erreichbar und den "Meisterflieger" hätte ich in den Wind schreiben können. Also hing alles von dieser einen Cha-23 ab.

Derart psychologisch „geschickt“ durch einen, wenn auch sehr ranghohen Vorgesetzten, motiviert ging ich zur Vorstartlinie zurück.
 


Der "Ingenieur" hatte in der Zwischenzeit in Russisch und mit Farbe "Grüße aus der DDR" auf die Rakete geschrieben. Der Start und der Zielanflug verliefen ohne Probleme. Im Zielgebiet flog ich das schon oft trainierte Angriffsmanöver und setzte die festgelegten Meldungen über Funk ab. Problemlos identifizierte ich das mir zugewiesene Bodenziel. Dann auf Kampfkurs ging alles sehr schnell. Ich erkannte erneut das Ziel, meldete "Abschuss" und drückte den Kampfknopf am Steuerknüppel. Kurze Zeit später fauchte das riesige weiße Ding von Rakete mit ebenso weißem Qualm links an mir vorbei.

Von jetzt an redete ich laut mit mir selbst, indem ich mir ständig die Steuerkommandos für die Rakete zurief: „…hoch … hoch … weiter links … runter … etwas hoch …" . 

Die Cha 23 ist nämlich eine funkferngesteuerte Rakete, die nach folgenden Prinzip gesteuert wird: Das Auge des Flugzeugführers, der gleißend helle Leuchtsatz im Heck der Rakete und das Ziel müssen eine Linie bilden. Und zwar bis zum Einschlag ! Dabei gibt es eine Besonderheit. Der Lenkknopf für die Cha-23 am Steuerknüppel des Flugzeuges funktioniert sinngemäß: Knopf nach oben - Rakete nach oben; Knopf schnell nach oben - Rakete schnell nach oben usw. Der Trimmerschalter am Steuerknüppel, knapp zwei Zentimeter entfernt, funktioniert aber genau entgegengesetzt: wird das Flugzeug warum auch immer schwanzlastig und der Bug kommt nach oben, drücke ich den Trimmerknopf nach unten und zwinge damit das Flugzeug, die Nase wieder zu senken. Da sich zudem auf dem Kampfkurs die Geschwindigkeit des Flugzeuges rapide ändert, verändert sich auch die aerodynamische Belastung und somit die Trimmung.
Der Pilot muss also genau wissen, was er wann in welchem Umfang unternimmt. Ansonsten hat er nicht die geringste Chance, die Rakete auch nur in die Nähe des Ziels zu bringen.

Ich lenkte jedenfalls beide Geräte gleichzeitig: die Rakete bis zum Einschlag im Ziel und ganz nebenbei auch noch das Flugzeug. Das Bodenziel, eine Flugzeugdeckung, wurde mit 3 Meter zum Nullpunkt getroffen. Sie wurde durch die Detonation der großen Menge Sprengstoff, die eine Cha-23 transportiert, total zerstört.

Laut Sicherheitsbestimmungen ist es zwingend vorgeschrieben, sofort nach dem Einschlag mit einem energischen Manöver aus der Splitterzone abzukurven. Ich verzögerte dieses Manöver um wenige Sekundenbruchteile, um das Trefferergebnis selbst sehen zu können. Als ich die in Qualm gehüllte Einschlagstelle sah, wurde mir klar, dass es mit Sicherheit ein Treffer und damit mindestens eine gute Wertung möglich war. Daher entluden sich alle angestauten Emotionen in einer etwas zu lauten Bemerkung über Funk, was mir zuerst eine persönliche Ansprache mit den Worten "Halten sie Funkdisziplin !" und dann auch noch eine persönliche Vorladung bei "GeZi" einbrachte.

 "Gerd E.", der hinter mir auf Kampfkurs war, hatte jetzt kein direktes Ziel mehr und konnte deshalb nur nochmal draufhalten und "scharf nachwaschen". Ebenfalls mit der Note "Sehr gut".

Was bis dahin noch stand, war ab jetzt vollkommen zerstört. Für die Besatzungen vor Ort war es ein absolutes Ereignis, dass mit für Ihr Verständnis veralterter Technik noch solche Ergebnisse möglich waren. Dabei hatte am Vortag eine lasergesteuerte Rakete die Kanzel des Beobachtungsturms nur um wenige Meter verfehlt. Am Abend hatten wir dann gemeinsam auf die Ergebnisse des ersten Tages angestoßen. Denn auch alle anderen Aufgaben wurden mit sehr guten Ergebnissen erfüllt.

Am 2. Gefechtsflugtag erfolgte der Anflug des Zielgebietes im Kettenkeil. Im Raum der vorgegebenen Flugstrecke waren
verschiedene Fla-Raketenstellungen stationiert worden, die wir unter Einsatz von Manövern und bordeigenen elektronischen Störmitteln zu überwinden hatten. Da wir diese Ausweichmanöver in Kombination mit den elektronischen Störmitteln schon viele Male trainiert hatten, waren diese für uns nicht neu und somit konnten wir aus einem breiten Fundus verschiedener Varianten wählen. Mit stark wechselnden Kursen in Kombination mit schnellen Änderungen der Schräglage, Flughöhe und Formation gelang es uns, zum Ziel "durchzubrechen" - alles im Rahmen eines "Zielanfluges zur befohlenen Zeit".

Dieser bedeutete für die fliegenden Besatzungen absoluten Stress. Denn es gilt, ein bestimmtes Zeitfenster von insgesamt 30 Sekunden im Zielraum zu treffen. Bezogen auf die "befohlene = Nullzeit" bleiben einem Verband nur 15 Sekunden davor und 15 Sekunden danach zum Erreichen der Note "Sehr gut". Das war für uns der Maßstab und etwas anderes kam nicht in Betracht. Eben diese Herausforderung konnte nur durch perfekte Organisation und exzellente Zusammenarbeit in der Luft erfüllt werden. Ein GPS, wie wir es heute kennen, war zu damaliger Zeit noch völlig unbekannt. Genau 13:50:00 Uhr schlugen unsere FAB-250 TS auf der östlichen Seite der Start- und Landebahn des von uns angegriffenen Flugplatzes ein.

Da der Angriff aus extrem geringer Höhe mit hoher Geschwindigkeit erfolgte, hatten wir nach dem Bombenabwurf genügend Geschwindigkeit, um unseren eigenen Splittern zu entkommen, die Fla-Ausweichmanöver zu fliegen, dabei die Waffenanlage auf „Kanone“ umzuschalten und den nächsten Angriff mit der Sonne im Rücken aus einer Kampfkurve mit Sturzwinkel 30 Grad durchzuführen. Alle Manöver wurden dabei mit großen Schräglagen bei Geschwindigkeiten bis knapp 1000 Kilometer pro Stunde und hohen Lastvielfachen geflogen. Unsere Kette hielt die Formation "wie auf ein Brett genagelt". Dadurch war es wie geplant möglich, die "diensthabende Kette" des Gegners als unser neues Ziel gleichzeitig zu viert, mit Einsatz der Kanone Gscha-23, anzugreifen. Die Wirkung der 23- Millimeter-Geschosse im Ziel war verheerend. Von den in Originalgröße aus Holz nachgebauten Flugzeugen (Mirage, Phantom, Tornado) war nach unserem Angriff nur noch Kleinholz übrig.
 

Luninez 1989

Luninez 1989

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Die Bewertung der Trefferergebnisse erfolge in Luninez aber anders als auf unseren Erdschießplätzen. Da es sich hier um dreidimensionale Attrappen in Originalgröße handelte, zählten tatsächlich nur Treffer. Wenn beispielsweise die Einschläge einen halben Meter vor dem Ziel aufhörten, war das Ziel nicht bekämpft und man erhielt die Note 5. Bei uns, wo aus dem Gras ausgestochene Silhouetten verschiedener Flugzeuge das Ziel darstellten, wäre das dennoch die Note 1 gewesen. Weil nämlich die Silhouetten mit Kreisen in verschiedenen Abständen umgeben waren, ähnlich einer Zielscheibe beim Luftgewehrschießen, und sich das Bodenziel im kleinsten Kreis, also der „10“, befand. Da wir aber schon aus der Luft die Einschläge und deren Wirkung sehen konnten, war für jeden von uns klar, daß wir getroffen hatten. Übrigens sei hier noch erwähnt, dass jedem einzelnen Flugzeugführer für jeden einzelnen Angriff ein separates Ziel zugewiesen wurde. Damit konnte nach Abschluss des Gefechtseinsatzes, nachdem wir mit einer Mi-8 an den Zielort geflogen worden waren, genau bestimmt werden, wer mit welcher Qualität getroffen hatte und wer nicht.

Bei dieser objektiven Bewertung war kein Schummeln möglich: entweder das Ziel war zerstört oder nicht. Das ist wie mit einer Schwangerschaft: entweder man ist schwanger oder man ist es nicht. Ein bisschen schwanger geht nicht. Der zweite Flug des Tages war nicht minder aufregend. Nachdem wir wieder zum Ziel, der Vorstartlinie des Zielflugplatzes, „durchgebrochen“ und mit 15:50:00 Uhr auch noch pünktlich waren, wurden wieder auf Kommando des Führenden die Bomben (ZAB 250) geworfen.

Bei drei Maschinen fielen sie auch; nur "Otto" wurde seine Bomben irgendwie nicht los. Er war damit für die nachfolgenden Angriffsmanöver viel zu schwer und nicht manövrierfähig genug, um seinen Platz im Verband zu halten. Nachdem er das über Funk gemeldet hatte, mussten wir unseren ursprünglichen Plan ändern, um ihm eine Möglichkeit zum Abwurf im sogenannten „Handregime“ zu verschaffen. Da diese Möglichkeit bei der Flugvorbereitung mit einkalkuliert worden war, führten wir die vorher durchgesprochenen Ersatzmanöver sehr kreativ aus. "Otto" warf endlich seine Bomben auf das Ziel und traf genau. Von jetzt an lief wieder alles wie geplant und es begann an der Vorstartlinie des „Gegners“ das große "Kleinholzmachen" mit der Gscha-23. Einschließlich aller taktischen Angriffs- und Ausweichmanöver. Das Ergebnis war noch viel beeindruckender als das des 1. Fluges - Trümmer, Rauch und Feuer - einfach unglaublich und auch irgendwie beängstigend.

 

Luninez 1989

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Der 3. Flug des Tages war ein Imitationsangriff des Flugplatzes in der Nacht und für den nachfolgenden Einsatz der Cha-23 gedacht.

Der Höhepunkt meines "Luninez - Abenteuers" sollte dann der 4. Flug sein.

Dabei handelte es sich um den scharfen Waffeneinsatz der Cha-23 unter Nachtbedingungen. Das hatte vor mir in den Luftstreitkräften der NVA noch keiner gemacht. Der Start erfolgte in der 2. Hälfte der Abenddämmerung. Nach Abflug der festgelegten Flugstrecke war ich wieder zur "befohlenen Zeit" im Zielraum und begann das Angriffsmanöver, diesmal auf einen Flugzeugbunker am Südostende der Start- und Landebahn. Dann ging wieder alles sehr schnell: Schräglage weg, Sturzwinkel eingenommen, Höhe, Geschwindigkeit und die vom Laserentfernungsmesser angezeigte Schußentfernung kontrolliert, Zielkreuz auf das Ziel gelegt, über Funk "Abschuss" gemeldet und den Kampfknopf gedrückt. Bruchteile von Sekunden später fauchte ein heller Feuerball an meiner Kabine vorbei.

In der Dienstvorschrift für den Nachteinsatz der Cha-23 wurde empfohlen, nicht in den hellen Lichtschein des Raketentriebwerkes zu sehen. Wer dieser Versuchung nicht widerstehen konnte, hatte anschließend kaum eine Chance, wegen der starken Blendung die Rakete zu steuern. Also Augen zu und durch. Nachdem die Rakete einige Sekunden unterwegs war, begann ich wie beim Flug am Tage, die Steuerkommandos laut vor mir herzusagen. Die Rakete traf das Ziel mit Null Meter Abweichung. Die Detonation und der damit verbundene Feuerball waren gewaltig und in der Nacht natürlich viel besser zu sehen als am Tage.

Der Rückflug und die Landung waren dann schon Routine. Selbst an die Eigenarten der SLB in Luninez hatte ich mich bereits gewöhnt. Nachdem wir dann mitten in der Nacht die Ergebnisse unseres zweitägigen Einsatzes erfahren hatten, wurde das sehr gute Abschneiden des JBG-37 in Luninez noch gebührend gefeiert. Von den zu Hause in S-5-Kisten sorgfältig verpackten und mit Lufttransport überführten "Wilthener-Granaten" war am Morgen nichts mehr übrig.
 

Da ich in Luninez alle meine gestellten Aufgaben erfüllen konnte und relativ viel geflogen war, wurde meine Maschine durch einen anderen Piloten nach Hause geflogen. Am Tage des Rückfluges war das Wetter wieder sehr schlecht: strömender Regen und eine Wolkenuntergrenze von weniger als einhundert Meter. Auch in Drewitz herrschte "straffes" Minimum. Uns war klar, dass alle, die von Luninez in Richtung Heimat starteten, bei Problemen und bei diesem Wetter keine guten Chancen zu einer Landung auf einem Ausweichflugplatz hatten. Dieser hätte mit großer Wahrscheinlichkeit irgendwo im "Mutterland" geendet. Wo allerdings das Wetter auch nicht viel besser war. Nachdem der Start immer wieder verschoben wurde, besserte sich aber unerwartet das Wetter. Und es kam der Startbefehl. Mit dem Einschalten des Nachbrenners verschwanden die Flugzeuge in einer gewaltigen Gischtwolke, aus der sie nach dem Abheben wieder auftauchten, um kurze Zeit später wieder in den immer noch tief hängenden Wolken zu verschwinden.

Wir anderen hatten beim Rückflug in einer Tu-134 des TG-44 weniger Stress. Ein letzter Blick aus dem Fenster und schon verschwand auch unser Flugzeug in den Wolken. Als wir das nächste Mal die Erde wieder sahen, befanden wir uns schon kurz vor dem Aufsetzpunkt in Drewitz. Endlich wieder zu Hause !

Etwas möchte ich dem geneigten Leser zum Abschluß noch gern mitteilen: Diese Erlebnisse und Erfahrungen von Luninez haben mein weiteres Fliegerleben, trotz der sich abzeichnenden weltpolitischen Veränderungen, nachhaltig geprägt und viele meiner künftigen Entscheidungen beeinflußt.

Wolfgang “KUNO” Kuhnert.